Laufzeit 09/2022-08/25

gefördert vom BMBF (FKZ: 16MF1019B)

Der Aufbau MINT-spezifischer Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen (DAH), z.B. experimentieren, entdecken und herstellen, sind ein wichtiges Ziel von MINT-Bildung, da diese als zentral für die Teilhabe an durch MINT-geprägte Gesellschaften und für die Aneignung von inhaltsbezogenem MINT-Wissen angesehen werden. Trotz der angenommenen Bedeutung zeigen Befunde, dass DAH im Unterricht zwar eingesetzt werden, ein bewusstes Reflektieren über die DAH aber kaum vorkommt. 

Bislang gibt es allerdings - insbesondere im Grundschulbereich - nur wenige empirische Arbeiten, die sich auf mehrere MINT-Bereiche beziehen. Im Mittelpunkt existierender Lernumgebungen steht häufig ein komplexes Problem, das durch die Anwendung von inhaltsbezogenem Wissen aus den MINT-Bereichen gelöst werden muss. Der Fokus der bisherigen Studien lag allerdings nicht auf den MINT-DAH. Die Befunde zur Wirkung dieser Lernumgebungen auf das inhaltsbezogene Wissen der Schüler:innen ist uneindeutig, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass die mathematischen und naturwissenschaftlichen Anteile einen unterschiedlichen Stellenwert in den Lernumgebungen einnehmen. Die alleinige Addition von verbindenden MINT-Themen in weiterhin getrennt gedachten bereichsspezifischen Ansätzen scheint unzureichend zu sein, um ein bereichsübergreifendes und anschlussfähiges Wissen zu fördern (ebd.) 

Das Projekt DearH_MINT setzt an dieser Stelle an und entwickelt sowie untersucht Lernumgebungen zu MINT-DAH. Die Erstellung der bereichsspezifischen (Mathematik, Naturwissenschaften bzw. Technik) und bereichsübergreifenden Lernumgebungen für Zweitklässler:innen erfolgt dabei nach dem DBR Ansatz in enger Zusammenarbeit mit Praxiakteur:innen

Forschungsfragen

Im Rahmen der Entwicklung der Lernumgebungen ist folgende Fragestellung zentral: 

  • Wie müssen Lernumgebungen gestaltet sein, um die Entwicklung von DAH bereichs- spezifisch und -übergreifendend zu unterstützen? 

Auf der Grundlage der Entwicklung der Lernumgebungen, verfolgt das Projekt folgende Fragestellungen: 

  1. Inwiefern zeigen sich Unterschiede beim Aufbau von bereichsspezifischen und -übergreifenden MINT-DAH zwischen Kindern der Interventions- und der Vergleichsgruppe? (Tests)
    1. ...in der Entwicklung von technischem und naturwissenschaftlichem Wissen?

    2. … in der Entwicklung von disziplinspezifischen und -übergreifenden Denk- Arbeits- und Handlungsweisen?

    3. … bei der Bearbeitung eines unbekannten/neuen MINT-Problems in der Fähigkeit, prozedurales und epistemisches Wissen zu disziplinspezifischen und -übergreifenden DAH, anzuwenden? (Transferaufgabe)

  2. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen Kinder in den DAH der MINT- Bereiche? (Interviews)
  3. Wie handeln Kinder in gemeinsamen Arbeitsphasen ein Verständnis der DAH aus, welche Potentiale und Schwierigkeiten werden hierbei sichtbar? (Interaktionsanalysen)
  4. Vertiefung Frage 2 und 4: Zeigen sich Unterschiede in der Lernentwicklung und in der Teilhabe an Aushandlungsprozessen von Kindern mit heterogenen Lernvoraussetzungen (z.B. Gender, SES, Sprache, Migrationshintergrund)? 

Methodisches Vorgehen

In einem ersten Schritt werden Lernumgebungen im Design-Based-Research- Ansatz (DBR) für den Mathematik- und den naturwissenschafts- und technikbezogenen Sachunterricht bzw. Werken in der Jahrgangsstufe 2 in Teams aus dem Projekt, beteiligten Lehrkräften, Studierenden sowie dem Praxispartner des Projektes (Stiftung „Kinder forschen“) entwickelt. In einem ersten Verfahren werden die Teile der Lernumgebungen erprobt und weiterentwickelt. In diesem Prozess werden auch Fokusgruppen mit verschiedenen Praxisakteuren, z.B. Fachberater:innen und Seminarleiter:innen, eingesetzt, z. B. um der Frage nach der Umsetzbarkeit unter Berücksichtigung der Grundschul-Rahmenbedingungen nachzugehen. 

Die daran anschließende Studie ist eine Interventionsstudie im Vergleichsgruppen-Design und umfasst Prä-, Post- und Follow-up-Messungen bei Schüler:innen. Zusätzlich werden bei einer Teilstichprobe aus der Interventions- und Vergleichsgruppe bei den Post- und Follow-up-Tests ergänzend Interviews durchgeführt. An einer weiteren Teilstichprobe wird die Intervention videographiert, um Daten zur Analyse der gemeinsamen Arbeitsphasen der Kinder und zur Prozessbeobachtung der Teilhabeveränderungen sowie für einen Treatment-Check zu erhalten. Der Unterricht in den Interventions- und Vergleichsgruppen, sowie alle weiteren Projektbegleitenden Maßnahmen werden dabei immer von Projektmitarbeiter*innen durchgeführt.

Praxistransfer / Nützlichkeit

Neben einem theoretischen Ertrag hat die Studie auch hohe praktische Relevanz. Neben der Entwicklung und Erforschung der Lernumgebungen, soll in Kooperation mit der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ (HdkF) die entstandenen Lernumgebungen zugänglich gemacht werden. Die Stiftung Kinder forschen ist von Beginn an in die Entwicklung und Beforschung der Lernumgebungen involviert, um sicherzustellen, dass diese für den späteren Transfer skalierbar und nutzbar sind. Zudem werden vorhandene Materialien der Stiftung nach Möglichkeit aufgegriffen und weiterentwickelt. Weitere Praxisakteure werden in dieser Entwicklungsphase durch Fokusgruppeninterviews integriert, um Praxisbedingungen und -bedarfe zu berücksichtigen.

Einblicke in Projektfortschritte

In der Entwicklungsphase (Forschungsansatz Design-Based Research) wurde die Praxistauglichkeit des Unterrichtsdesigns „phänomenal beschatten“ am Projektstandort Leipzig im Rahmen einer formativen Evaluation evaluiert. Relevante Praxisakteur:innen wurden hierbei explizit in den Forschungsprozess eingebunden. Welche Einschätzungen vier exemplarische Praxisakteur:innen im Hinblick auf die theoretisch vorgegebenen Unterkategorien vornehmen, und welche zusätzlichen Kategorien sich nach der Expert:innenevaluation identifizieren und anreichern lassen, wird im Artikel „DearH_MINT – Beitrag zu einer frühen MINT Bildung im Kontext von Problemlösekompetenz und Zukunftsgestaltung“ (Wollmann, Steinmann, Lange-Schubert 2025, im Druck) erscheinen.

Diese Evaluationsergebnisse ergaben zusammen mit recherchierte Forschungsbefunde zur Förderung von Denk- Arbeits- und Handlungsweisen folgendes Design für die Intervention „phänomenal beschatten“.

Damit Schüler:innen der Klassenstufe 2 beim Aufbau des disziplinspezifischen Inhaltswissen und DAH sowie der Verknüpfung dessen zur Lösung des MINT-Problems unterstützt werden, wurden zunächst disziplinspezifische Unterrichtssequenzen eingeplant (Sequenzen 1 bis 3). Dabei wurden über Bezüge zum MINT-Kreis einerseits die DAH-Spezifika der Disziplinen herausgearbeitet und gleichzeitig Gemeinsamkeiten der Disziplinen in Bezug auf die Entstehung wissenschaftlichen Wissens (epistemisch, inquiry-basiert) expliziert. Anschließend wurden zwei Disziplinen miteinander verknüpft (Sequenz 4 und 5), indem die formulierten Lernaufgaben stets Bezüge zu den jeweiligen Disziplinen gleichermaßen hatten. Dadurch wurden die Problemlöseprozesse sukzessive komplexer. 

Mit diesen inhaltlichen und prozessbezogenen Kompetenzen als Grundlage bearbeiteten die Zweitklässler*innen in Sequenz 6 und 7 weitgehend selbstständig das oben genannte MINT Problem und planten sowie konstruierten ein schattenspendendes Artefakt

Sequenz DauerDisziplin(en)Thema

0

45 min Identifizierung und Formulierung des MINT-Problems für die MINT-Projektwoche 

1

155 minNaturwissenschaften Lichtausbreitung | Schatten | lichtdurchlässige und -undurchlässige Materialien

2

120 minMathematik Größen und Flächen vergleichen

3

120 minTechnik Weidenstangen als Konstruktionswerkstoff | Textilien und Verbindungen

4

45 minMathematik und Technik Stabilität geometrischer Formen, Aussteifung 

5

45 minNaturwissenschaften und Technik Stabilität durch große Standfläche und Stützen erhöhen

6

45 – 90 minMathematik, Naturwissenschaften und TechnikSchattenspender planen und konstruieren 

7

90 – 135 minMathematik, Naturwissenschaften und TechnikKonstruktion des schattenspendenden Artefakts 

Beispiele für entstandene Schattenspender (mit 1,5m langen Weidenstangen oder 2m langen Bambusstangen konstruiert.

 

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Auf dem Bild sind mehrere selbstgebaute, A-förmige Zeltgestelle aus dünnen Holzstangen/Bambusstangen zu sehen, die jeweils mit großen weißen Textilien bespannt sind. Die Konstruktionen stehen auf einer Rasenfläche neben einem gepflasterten Weg. Im Hintergrund erkennt man Bäume, einen Zaun sowie mehrstöckige, farbige Gebäude. Unter und zwischen den Zeltgestellen liegen bunte Gegenstände (offenbar Spiel- oder Bastelmaterial). Die Szene wirkt hell und sonnig.

Das Interventionsdesign des Verbundprojekts wurde an die Gegebenheiten und Zielstellungen des Projekts angepasst:

Die Intervention wurde am Standort Leipzig in je zwei Klassen (IG und VG) umgesetzt sowie in Klasse, die als BG fungierte.

 

Aktuell arbeiten die projektbeteiligten Kolleg:innen am Standort Leipzig u.a. an der Analyse des Datenmaterials der Transferaufgabe und damit der Forschungsfragen: 

Inwiefern zeigen sich mittelfristige Unterschiede von Kindern der Interventions- und Vergleichsgruppe bei der Bearbeitung eines unbekannten/neuen MINT-Problems in der Fähigkeit, prozedurales und epistemisches Wissen zu disziplinspezifischen und -übergreifenden DAH, anzuwenden? 

und

Inwiefern beeinflussen die Aussagen der Moderation die Äußerungen der befragten Schüler:innen?

 

beteiligte Personen am Projektstandort Hamburg

Kara-Sophie Köhler, Chemie-Didaktik, Universität Hamburg

Prof. Dr. Miriam Steffensky, Chemie-Didaktik, Universität Hamburg

Dr. Maike Hagena, Mathematik-Didaktik, Universität Hamburg

Prof. Dr. Marcus Schütte, Mathematik-Didaktik, Universität Hamburg

beteiligte Personen am Projektstandort Leipzig

Karl Wollmann, Grundschuldidaktik Sachunterricht NawiT, Universität Leipzig

Dr. Annett Steinmann, Grundschuldidaktik Werken, Universität Leipzig

Prof. Dr. Kim Lange-Schubert, Universität Leipzig

WHK: Philipp Tillmann Hartung

SHK: Efdal Yasa & Erik Friedow