Unsere Forschungsfrage ist, ob Kleinkinder direkte und indirekte Aussagen als kommunikative Handlungen verstehen, die die falschen Überzeugungen eines Akteurs aktualisieren (Updating-Effekt).

NÄHERE INFORMATIONEN ZUM PROJEKT

Wenn ich einen Gegenstand (z.B. mein Buch) an einem bestimmten Ort (z.B. Schreibtisch) ablege und kurze Zeit darauf mein Buch weiterlesen möchte, dann suche ich danach höchstwahrscheinlich an dem Ort, von dem ich glaube, dass es dort liegt, weil ich selbst es dorthin gelegt habe (also dem Schreibtisch). Wurde das Buch aber inzwischen ohne mein Wissen von einer anderen Person vom Schreibtisch genommen und z.B. auf den Nachttisch gelegt, dann habe ich eine falsche Überzeugung hinsichtlich des Verbleibs des Buches (ich glaube, es ist auf dem Schreibtisch, obwohl es sich in Wirklichkeit auf dem Nachttisch befindet) und ich werde daher vermutlich erfolglos auf dem Schreibtisch suchen. Allerdings könnte die andere Person diese erfolglose Suche vielleicht schon vorausahnen und mir freundlicherweise mitteilen, dass sie das Buch woanders (also auf dem Nachttisch) abgelegt hat und mir so die Sucherei ersparen. Zu erwarten wäre, dass ich nun das Buch direkt auf dem Nachttisch suche, meine falschen Überzeugungen über den Ort des Buches also in korrekte Überzeugungen umgewandelt habe (bzw. meine Überzeugungen upgedatet habe). 

Eine Studie von Song, Onishi, Baillargeon und Fisher (2008) untersuchte, ob schon Kleinkinder diese Erwartungen an die Handlungen von Akteuren haben. In der Studie sahen 18 Monate alte Studienteilnehmer:innen, wie ein Akteur einen Ball in eine Kiste legte, den Raum verließ, und ein Assistent den Ball daraufhin in eine Tasse bewegte. Als der Akteur zurückkam, sagte der Assistent entweder „Der Ball ist in der Tasse“ (informative Bedingung) oder „Ich mag die Tasse“ (nicht-informative Bedingung). Die Studie zeigte, dass nur eine informative – direkte – Kommunikation zu einer Aktualisierung der Erwartungen der Kinder an die Suche des Akteurs führte. Schulze & Tomasello (2015) fanden jedoch heraus, dass Säuglinge auch indirekte Kommunikationshandlungen verstehen, und es erscheint unklar, warum die Kinder in Song et al.’s Studie die „nicht-informative“ Aussage nicht als indirekten Hinweis verstanden haben, der für die Suche des Akteurs relevant ist.

Um diese gegensätzlichen Ergebnisse genauer zu hinterfragen, untersuchte unser Projekt 18 Monate alte Kinder in fünf Bedingungen: zwei Bedingungen, die versuchen, die ursprüngliche Studie von Song und Kolleg:innen zu replizieren (direkte/informative Kommunikation und indirekte/“nicht-informative“ Kommunikation) und drei, die das ursprüngliche Verfahren leicht verändern (informative Kommunikation mit Zeigegeste sowie informative und nicht-informative Kommunikation ohne Warteintervalle).

Ein weiterer Projektteil widmete sich der Frage, inwiefern die durch Kommunikation hervorgerufene Aktualisierung der Überzeugungszuschreibung tatsächlich darauf basiert, dass kommunikative Intentionen zwischen den Protagonisten ausgetauscht werden oder ob nicht auch basalere Prozesse (z.B. Nennung des tatsächlichen Verstecks des Objekts) für veränderte Erwartungen bei den Studienteilnehmer:innen sorgen. Daher wurden in diesem Projektteil zwei weitere Bedingungen durchgeführt: Neben der direkten/informativen Kommunikation („Complete Communication“), in der der Assistent dem Hauptakteur den tatsächlichen Ort des gesuchten Objekts mitteilt („Der Ball ist in der Tasse“), sah eine Gruppe von Kindern auch, dass dieser Satz in Abwesenheit des Hauptakteurs ausgesprochen wurde („Incomplete Communication“) und bei einer weiteren Gruppe von Kindern wurde keine Äußerung getätigt („No Communication“).

Wir fanden heraus, dass die Replikation des Effekts von Song und Kolleg:innen (2008) davon abhängt, dass die in der Originalstudie beschriebene Prozedur genau eingehalten wird. Genauer: Der Effekt, dass direkte / informative Kommunikation die Erwartungen der Kinder an die überzeugungsbasierten Handlungen des Akteurs verändert (Updating-Effekt), trat nur auf, wenn die in der Originalstudie beschriebenen Warteintervalle zwischen einzelnen Phasen der Studie eingehalten wurde. Allerdings konnte in diesem Projekt zusätzlich gefunden werden, dass auch indirekte Kommunikation (in der Originalstudie als „nicht-informative“ Kommunikation bezeichnet) die Erwartungen der Kinder beeinflusst (Schulze und Buttelmann, 2021).

Im zweiten Projektteil konnte untermauert werden, dass es sich hier tatsächlich um die kindliche Beobachtung sozialer Interaktion handelt. Der Updating-Effekt trat nur auf, wenn Assistent und Akteur während der Äußerung anwesend waren. Hörten die Kinder den updating-anregenden Satz in der Abwesenheit des Akteurs, hatten sie keine klaren Erwartungen an sein Verhalten und wenn gar nicht kommuniziert wurde, gingen sie davon aus, dass der Akteur eine falsche Überzeugung hinsichtlich des derzeitigen Orts des Objekts hat und daher erfolglos am ursprünglichen Versteck sucht (Schulze und Buttelmann, 2022).

 

Zugehörige Publikationen:

Schulze, C., & Buttelmann, D. (2021). Small procedural differences matter: Conceptual and direct replication attempts of the communication-intervention effect on infants’ false-belief ascriptions. Cognitive Development, 59, 101054. https://doi.org/10.1016/j.cogdev.2021.101054

Schulze, C., & Buttelmann, D. (2022). Infants differentiate between successful and failed communication in a false-belief context. Infant Behavior and Development, 69, 101770. https://doi.org/10.1016/j.infbeh.2022.101770

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